Mittelalterliches Europa

Die Kreuzzüge: Ursachen & Ziele

Die Kreuzzüge waren eine Serie militärischer Feldzüge, organisiert von christlichen Mächten, um Jerusalem und das Heilige Land aus muslimischer Kontrolle zurückzuerobern. Offiziell wurden zwischen 1095 n. Chr. und 1270 n. Chr. acht Kreuzzüge genehmigt, daneben gab es viele inoffizielle Unternehmungen. Jeder Feldzug hatte unterschiedliche Erfolge und Misserfolge, aber letztlich scheiterte das übergeordnete Ziel, Jerusalem und das Heilige Land dauerhaft in christlicher Hand zu halten. Dennoch blieb der Reiz des Kreuzzugideals bis ins 16. Jahrhundert lebendig. Der Zweck dieses Beitrags ist es zu beleuchten, welche Motivationen die Kreuzfahrer – vom Papst bis zum einfachen Krieger – antrieben, insbesondere beim allerersten Kreuzzug, der ein Vorbild schuf, dem später gefolgt wurde.

Taking of Jerusalem by the Crusaders

Wer wollte was bei den Kreuzzügen?

Warum die Kreuzzüge überhaupt stattfanden, ist eine komplexe Frage mit vielen Antworten. Wie der Historiker J. Riley‑Smith bemerkte:

„Man kann nicht oft genug betonen, dass Kreuzzüge für die Teilnehmenden beschwerlich, desorientierend, furchteinflößend, gefährlich und kostspielig waren – und die anhaltende Begeisterung über die Jahrhunderte hinweg ist nicht leicht zu erklären.“

Schätzungsweise 90.000 Männer, Frauen und Kinder aller Klassen wurden von politischen und religiösen Führern zum ersten Kreuzzug (1095–1102 n. Chr.) motiviert. Ihre vielfältigen Beweggründe – ebenso wie die der politischen und kirchlichen Führung jener Zeit – müssen einzeln betrachtet werden, um eine befriedigende Erklärung zu finden. Zwar werden wir nie im Detail wissen, was Einzelne dachten oder was sie genau antrieb, doch lassen sich die allgemeinen Beweggründe, das Kreuzfahrerideal zu fördern und umzusetzen, entlang folgender Hauptakteure und Gesellschaftsgruppen zusammenfassen:

  • Der byzantinische Kaiser – um verlorenes Gebiet zurückzugewinnen und einen bedrohlichen Rivalen zu besiegen.
  • Der Papst – um das Papsttum in Italien zu stärken und als Oberhaupt der christlichen Kirche vorzurücken.
  • Kaufleute – um wichtige Handelszentren, die derzeit muslimischer Kontrolle unterlagen, zu monopolisieren und durch den Transport von Kreuzfahrern ins Heilige Land Geld zu verdienen.
  • Ritter – um das Christentum (seine Gläubigen und heilige Stätten) zu verteidigen, die Prinzipien der Ritterlichkeit zu achten, materiellen Reichtum im Diesseits zu erwerben und im Jenseits besondere Gunst zu erlangen.

Das Byzantinische Reich

Das Byzantinische Reich hatte lange Jerusalem und andere für Christen heilige Orte kontrolliert, doch in den letzten Jahrzehnten des 11. Jahrhunderts verlor es diese dramatisch an die Seldschuken, einen turkstämmigen Stamm der Steppe. Die Seldschuken hatten bereits mehrere Überfälle auf byzantinisches Territorium verübt und besiegten im August 1071 n. Chr. in Armenien eine byzantinische Armee in der Schlacht von Manzikert. Sie nahmen sogar den byzantinischen Kaiser Romanos IV. Diogenes (reg. 1068–1071) gefangen. Obwohl er gegen ein hohes Lösegeld freikam, musste er wichtige Städte wie Edessa, Hieropolis und Antiochia abtreten. Die Niederlage schockierte Byzanz, und es folgte ein Machtkampf um den Thron, den selbst Romanos’ Rückkehr nach Konstantinopel nicht beenden konnte. Außerdem verließen viele byzantinische Befehlshaber in Kleinasien ihre Kommandos, um ihre Ansprüche in Konstantinopel durchzusetzen.

Währenddessen nutzten die Seldschuken diese militärische Vernachlässigung aus. Um 1078 n. Chr. errichteten sie das Sultanat von Rum mit der Hauptstadt Nikaia in Bithynien (Nordwestkleinasien), das sie 1081 von den Byzantinern eroberten. Die Ambitionen reichten weiter: Bis 1087 kontrollierten sie Jerusalem.

Einige byzantinische Kaiser folgten, doch unter der Herrschaft von Alexios I. Komnenos (reg. 1081–1118) kam etwas Stabilität auf. Alexios war Veteran der Schlacht bei Manzikert, doch er konnte die Seldschuken nicht aufhalten. Zudem trug er selbst Verantwortung für die territorialen Verluste, weil er die Militärprovinzen (Themen) in Kleinasien geschwächt hatte – aus Furcht vor der Macht und dem Potenzial der Themakommandeure, sich gegen ihn zu stellen. Stattdessen stärkte er die Garnisonen in Konstantinopel. Außerdem war er misstrauisch gegenüber der Loyalität seiner normannischen Söldner, angesichts der normannischen Kontrolle über Sizilien und jüngerer Angriffe in byzantinischem Griechenland.

Alexios sah in der seldschukischen Kontrolle Jerusalems einen möglichen Auslöser, europäische Herrscher zur Aktion zu bewegen. Im Frühjahr 1095 wandte er sich an den Westen mit der Bitte um Hilfe – nicht nur um die Seldschuken aus dem Heiligen Land zu vertreiben, sondern auch um die zurückeroberten byzantinischen Gebiete. Das Schwert des Christentums konnte sich als nützliches Werkzeug erweisen, die Krone Byzanz’ zu bewahren.

The Byzantine Empire c. 1090 CE

Der Papst

Papst Urban II. (reg. 1088–1099) empfing den Appell Alexios’ 1095, doch es war nicht das erste Mal, dass der byzantinische Kaiser päpstliche Hilfe erbeten hatte. Bereits 1091 hatte der Papst Truppen geschickt, um den Byzantinern gegen die pechenegischen Steppennomaden im nördlichen Donauraum beizustehen.

Vier Jahre später war Urban II erneut bereit zur Unterstützung – aus verschiedenen Gründen. Ein Kreuzzug würde das Prestige des Papsttums erhöhen, da er eine vereinte westliche Armee anführte, und zugleich die eigene Stellung in Italien festigen – denn im vorangehenden Jahrhundert hatten Heilige Römische Kaiser das Papsttum bedroht und die Päpste zeitweise zur Flucht aus Rom gezwungen.

Urban II strebte außerdem die Wiedervereinigung der westlichen (katholischen) und östlichen (orthodoxen) Christen unter seiner Führung über den Patriarchen von Konstantinopel an. Die beiden Kirchen waren seit 1054 gespalten – über Streitfragen in Lehre und Liturgie. Die Kreuzzüge ließen sich mit dem islamischen Bedrohungsszenario gegen christliche Gebiete und Christen dort breiter begründen. Am wichtigsten war jedoch der Verlust christlicher Kontrolle über das Heilige Land mit seinen historisch einzigartigen Stätten, insbesondere dem Grab Jesu Christi, dem Heiligen Grab in Jerusalem. Hinzu kam, dass Spanien daran erinnerte, wie prekär die Lage der christlichen Welt wirklich war: Bis 1085 war die Hälfte Spaniens wieder christlich, und die Normannen hatten Sizilien zurückerobert. Die muslimische Gefahr in Europa blieb jedoch stark und war ein glaubwürdiges Argument, das Urban II einsetzen konnte. Der Appell von Alexios brachte zahlreiche politische und religiöse Vorteile.

Die Idee der Sünde war im Mittelalter allgegenwärtig – und so war Urban II’s Versprechen, von deren Konsequenzen verschont zu sein, für viele hoch attraktiv. Am 27. November 1095 rief Urban II auf dem Konzil von Clermont in Frankreich zum Kreuzzug auf. Die Botschaft – bekannt als Indulgenz – richtete sich insbesondere an Ritter und war klar formuliert: Wer das Christentum verteidige, gehe auf eine Pilgerfahrt, alle Sünden würden vergeben, und die Seele würde im nächsten Leben unsagbare Belohnungen ernten.

Im Mittelalter durchdrang das Christentum alle Lebensbereiche – Pilgerreisen waren üblich, Klöster überfüllt und die Zahl neuer Heiliger groß. Die Idee der Sünde war omnipräsent, und Urban II’s Zusicherung der Befreiung von ihren Folgen war für viele ein starkes Motiv. Entscheidend war außerdem, dass die Kirche eine gewaltsame Kampagne rechtfertigen konnte, weil sie als Befreiung (nicht Angriff) galt und ein gerechtes Ziel verfolgte.

Urban II unternahm 1095–1096 eine Predigtreise durch Frankreich, um Kreuzfahrer zu werben. Seine Botschaft war gespickt mit übertriebenen Berichten, wie gerade in diesem Moment christliche Monumente entweiht und Gläubige verfolgt, gefoltert und misshandelt würden. Delegationen und Briefe wurden in alle Teile des Christentums gesandt. Große Kirchen in Limoges, Angers und Tours fungierten als Rekrutierungszentren, ebenso viele Landkirchen und insbesondere Klöster. In ganz Europa sammelten sich 1096 Krieger, bereit, nach Jerusalem aufzubrechen.

Pope Urban II

Kaufleute

Auch wenn Kaufleute beim Ersten Kreuzzug noch keine zentrale Rolle spielten, änderte sich das ab 1200 n. Chr. deutlich. Sie wollten neue Handelswege in den Osten erschließen – und am liebsten die Kontrolle über reiche Handelszentren wie Antiochia und Jerusalem gewinnen. Zusätzlich ließ sich mit dem Transport von Kreuzfahrern über das Mittelmeer gutes Geld verdienen. Ab dem Zweiten Kreuzzug (1147–1149 n. Chr.) wurden bereits im Vorfeld lukrative Verträge geschlossen, um ganze Heere in den Nahen Osten zu verschiffen.

Vor allem die italienischen Handelsstädte Venedig, Pisa und Genua – aber auch Marseille in Frankreich – konkurrierten scharf miteinander und waren erpicht darauf, den Ost-West-Handel zu monopolisieren. Doch man sollte nicht vergessen: Diese Städte stellten nicht nur Kaufleute, sondern auch viele religiös begeisterte Männer, die bereit waren, für den christlichen Glauben zu kämpfen – nicht nur, um Profit zu machen.

Europäische Ritter

Im 11. Jahrhundert war das mittelalterliche Europa zunehmend militarisiert. Die Zentralgewalten verfügten oft nicht über ausreichende Mittel, ihre Territorien überall effektiv zu verwalten. Vor Ort herrschten daher meist Großgrundbesitzer – Barone, die Burgen und eigene Ritterheere unterhielten.

Ritter – ebenso wie Könige und Fürsten – schlossen sich den Kreuzzügen häufig aus religiöser Überzeugung an, in der Hoffnung auf Belohnung im Jenseits oder getrieben vom Ideal, Christen und heilige Stätten vor den „Ungläubigen“ zu schützen.

Raymond IV of Toulouse

Wichtig ist dabei: Der Hass gegenüber Muslimen als solcher spielte zu Beginn eine geringere Rolle, als man heute oft meint. Zwar bedienten sich Geistliche der ihnen verfügbaren Propagandamittel und warben quer durch Europa mit aufrüttelnden Predigten, doch die Muslime waren der breiten Bevölkerung weitgehend unbekannt. Eine gezielte Dämonisierung hatte daher nur begrenzten Effekt.

Muslime galten als Feinde, weil sie christliche Heiligtümer erobert hatten – nicht allein deshalb, weil sie Muslime waren. Der Historiker M. Bull hebt diesen Punkt besonders hervor:

„Die heutige populäre Sicht auf die Kreuzzüge als großen Glaubenskonflikt, getrieben von religiösem Fanatismus, spiegelt eher moderne Empfindlichkeiten in Bezug auf religiöse Diskriminierung – sowie aktuelle politische Konflikte im Nahen Osten – wider. Für den Ersten Kreuzzug jedoch ist diese Perspektive unzutreffend.“
(zit. nach Riley-Smith, S. 18)

Natürlich spielten auch ganz irdische Beweggründe eine Rolle: Aussicht auf Beute, Landgewinn, vielleicht sogar ein Adelstitel. Doch die Ausrüstung war teuer, Ritter mussten mit erheblichen Kosten rechnen – teils mussten sie Land verkaufen. Klöster boten deshalb Kredite an, um den Start zu ermöglichen.

Auch die Ritterlichkeit (Chivalry) hatte Einfluss: ein Ehrenkodex, der verlangte, dass ein Ritter „das Richtige tut“, die Kirche, Gott, Schwache und Unterdrückte schützt. Allerdings steckte dieser Ehrenkodex im 11. Jahrhundert noch in den Kinderschuhen. Damals ging es eher um Loyalität gegenüber der Ritterschaft selbst.

Für den Ersten Kreuzzug war Ritterlichkeit daher weniger ein moralischer Antrieb als vielmehr ein soziales Gebot – man tat, was von einem erwartet wurde. Erst in späteren Kreuzzügen wurde das Ritterideal durch Lieder, Gedichte und Legenden stärker romantisiert.

Viele Ritter zogen nicht aus freiem Willen, sondern weil sie im Dienst eines Barons standen. Offiziell galten Kreuzfahrer als Freiwillige – doch in Wahrheit war es für einen Dienstmann kaum denkbar, am Kamin sitzen zu bleiben, während sein Lehnsherr ins Heilige Land ritt.

Hinzu kam familiärer Druck: Viele folgten Vätern, Brüdern oder Onkeln. Blutsbande und gegenseitiger Schutz waren im Mittelalter stark ausgeprägt. Als sich die Kreuzzüge häuften, etablierten sich in Adelsfamilien feste Traditionen, sodass von jeder Generation mindestens ein Mitglied erwartete wurde, das Kreuz zu nehmen.

Bürger & Nicht-Adelige

Nicht nur Ritter zogen in den Krieg. Das Kreuzzugsideal musste auch gewöhnliche Fußsoldaten, Bogenschützen, Knappen und Hilfstruppen ansprechen – all jene, die die Reiter auf dem Feldzug unterstützten. Dass der Kreuzzugsgedanke tatsächlich breite Kreise faszinierte, zeigt der sogenannte Volkskreuzzug von 1096.

Eine ungeordnete Menge unter Führung des Predigers Peter dem Einsiedler versammelte sich und erreichte Konstantinopel. Kaiser Alexios I. Komnenos schickte sie schnellstmöglich über den Bosporus nach Kleinasien. Doch am 21. Oktober 1096 wurden sie nahe Nikäa von einer seldschukischen Armee überfallen und fast vollständig ausgelöscht.

Ab dem 13. Jahrhundert brachten Kreuzfahrer praktische Vorteile mit sich – selbst für einfache Bürger:

  • Aufschub des Lehndienstes
  • beschleunigte Gerichtsverfahren vor der Abreise
  • Steuer- und Zollbefreiungen
  • Stundung von Schulden
  • sogar Aufhebung einer Exkommunikation

Neben Ruhm und Ehre („das Kreuz nehmen“ – symbolisiert durch das Kreuzabzeichen auf der Schulter) gab es also auch weltliche Anreize, sich anzuschließen.

Fazit

Der Historiker C. Tyerman beschreibt in seinem Werk God’s War, dass das Jahr 1095 für das Mittelalter war, was 1914 für die Neuzeit wurde:

ein perfekter Sturm aus moralischer Empörung, persönlichem Gewinn, institutionalisierter Propaganda, Gruppenzwang, gesellschaftlichen Erwartungen und Abenteuerlust.

All das zusammen brachte Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen – für eine gefährliche Reise an einen Ort, den sie nicht kannten, wo sie Ruhm oder den Tod – oder beides – finden konnten.

Und der Eifer ließ nicht nach. Im Gegenteil: Der Erfolg des Ersten Kreuzzugs, insbesondere die Rückeroberung Jerusalems am 15. Juli 1099, beflügelte noch mehr Menschen, das Kreuz zu nehmen.

Das Kreuzzugsideal griff bald über:

  • auf die Reconquista in Spanien gegen die Mauren
  • auf Binnenkreuzzüge gegen Juden, Heiden und Ketzer in Europa (z. B. die Nordkreuzzüge)

Ritterorden wurden gegründet, um die eroberten Gebiete im Osten zu verteidigen. Und immer wieder wurden neue Steuern erhoben, um die nächsten Feldzüge zu finanzieren – eine Kette von Kriegen, Siegen und Niederlagen, die Kartenzeichner über vier Jahrhunderte hinweg beschäftigte.


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