Der Erste Kreuzzug (1095–1102) war ein militärischer Feldzug west-europäischer Kräfte, um die Stadt Jerusalem und das Heilige Land aus muslimischer Kontrolle zurückzuerobern. Er wurde von Papst Urban II. nach einem Hilfegesuch des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos konzipiert und endete mit der Eroberung Jerusalems am 15. Juli 1099.
Rund 60.000 Kämpfer sowie mindestens noch einmal die Hälfte an Nicht-Kombattanten brachen 1095 auf. Nach Operationen in Kleinasien und im Nahen Osten wurden große Städte wie Nikaia und Antiochia zurückerobert – und schließlich das eigentliche Ziel: Jerusalem. In den folgenden Jahrzehnten kam es zu weiteren Kreuzzügen, die Ziele weiteten sich, ebenso die geografische Ausdehnung der Kämpfe – bis hin zu Angriffen auf Konstantinopel in späteren Feldzügen.
Ursachen des Ersten Kreuzzugs
Der unmittelbare Zündfunke war der Aufstieg der muslimischen Seldschuken, eines türkischen Steppenvolks. Sie errangen bedeutende Siege über byzantinische Heere, besonders in der Schlacht bei Manzikert im August 1071, und brachten Städte wie Edessa und Antiochia unter ihre Kontrolle. Um 1078 errichteten sie das Sultanat der Rum mit der Hauptstadt Nikaia in Bithynien (Nordwest-Kleinasien). 1087 gelangte auch Jerusalem in ihre Hand.
Kaiser Alexios I. (reg. 1081–1118) erkannte, dass die seldschukische Expansion eine Chance bot, westliche Heereshilfe zur Rückeroberung Kleinasiens zu gewinnen. Im März 1095 bat er den Westen um Soldaten. Das Gesuch erreichte Papst Urban II. (reg. 1088–1099), der ebenso wie tausende europäische Ritter außergewöhnlich empfänglich reagierte.
Eine Kreuzzugsexpedition versprach zudem erhebliche Zusatznutzen: Sie konnte das Ansehen des Papsttums heben, indem es ein vereintes westliches Heer anführte, und die päpstliche Stellung in Italien festigen – nach schweren Konflikten mit den römisch-deutschen Kaisern im 11. Jahrhundert. Urban II. hoffte außerdem, sich an die Spitze einer wiedervereinigten westlichen (katholischen) und östlichen (orthodoxen) Kirche zu stellen, über dem Patriarchen von Konstantinopel. Die Kirchenspaltung bestand seit 1054. Ein bewaffneter Feldzug ließ sich durch biblische Bezüge rechtfertigen: als Befreiung, nicht als Angriff; als gerechtes und frommes Ziel, den Heiligen Stätten – etwa dem Heiligen Grab in Jerusalem – Schutz zu gewähren und christliche Pilger zu sichern.
Am 27. November 1095 rief Urban II. auf dem Konzil von Clermont (Frankreich) zum Kreuzzug auf. Seine Botschaft – als „Ablass“ formuliert und besonders an Ritter gerichtet – war klar: Wer die Christenheit verteidigte, begab sich auf eine Pilgerfahrt, ihm würden die Sünden vergeben, und er erlange unermesslichen Lohn im Jenseits. Es folgte 1095/96 eine Predigtreise durch Frankreich, begleitet von stark ausgeschmückten Erzählungen geschändeter Heiligtümer und verfolgter Christen. Große Kirchen wie Limoges, Angers und Tours, viele Landkirchen und besonders Klöster wurden zu Werbestellen. Der Ruf, „das Kreuz zu nehmen“ – Eid und Stoffkreuz auf der Schulter als Zeichen – hatte durchschlagenden Erfolg. Aus religiösem Eifer, Heilsgewissheit, Pilgersehnsucht, Abenteuerlust und dem Wunsch nach materiellem Gewinn strömten 1096 Krieger zusammen. Der Aufbruch wurde auf den 15. August festgelegt. In den ersten Wellen nahmen etwa 60.000 Teilnehmer teil, darunter rund 6.000 Ritter.
Der muslimische Gegner
Die sunnitischen Seldschuken, die im späten 11. Jahrhundert weite Teile Kleinasiens und Nordsyriens beherrschten, waren bereits vor Eintreffen der Kreuzfahrer geschwächt. Im Konflikt mit den schiitischen Fatimiden in Ägypten hatten sie Jerusalem errungen. Ein schwerer Schlag war jedoch der Tod des mächtigen Sultans Malikschah 1092: Lokale Fürsten rangen um die Vorherrschaft, ohne zentrale Autorität. Das seldschukische Machtzentrum lag in Bagdad, weit entfernt von den Schlachtfeldern des Ersten Kreuzzugs; zentrale Unterstützung und Koordination blieben begrenzt. Kurz vor dem Eintreffen der Kreuzfahrer gelang den Fatimiden sogar die Rückeroberung Jerusalems. Beide muslimische Lager erkannten die religiöse Zielsetzung der Kreuzfahrer zunächst kaum und hielten sie wohl für byzantinische Raubzüge. Die westlichen Ritter aber strebten nicht nach Beutezügen – ihr Ziel war dauerhafte Eroberung im Levante-Raum.
Peter der Einsiedler & der „Volkskreuzzug“
Trotz des gezielten Appells an Ritter ergriff der Kreuzzugseifer auch andere Schichten. Die erste größere Gruppe war ein „Volksheer“ aus Armen und niederem Adel, geführt vom Prediger Peter dem Einsiedler und dem Ritter Walter Sans-Avoir („der Mittellose“). Schlecht ausgerüstet und oft auf Plünderung angewiesen, machten sie sich auf den Weg. Eine zweite Gruppe – ebenfalls demütig und undiszipliniert – zog den Rhein hinab, angeführt von Graf Emicho von Leiningen, und verübte pogromartige Übergriffe auf Juden in Speyer, Mainz, Trier und Köln. Beide frühen Gruppen, oft als „Volkskreuzzug“ bezeichnet, erreichten im Frühsommer 1096 Konstantinopel und wurden von Alexios nach Kleinasien übergesetzt. Dort ignorierten sie byzantinische Ratschläge und gerieten bei Nikaia am 21. Oktober 1096 in einen Hinterhalt des seldschukischen Heeres unter Kilidsch Arslan I. – sie wurden nahezu ausgelöscht. Das entsprach weder den Vorstellungen des Kaisers noch denen Urbans II.
Der Fall von Antiochia
Die zweite Welle – nun mit „richtigen“ Rittern und Berufskriegern – traf im Herbst/Winter 1096 in Konstantinopel ein. Unter den Anführern war der Normanne Bohemund von Tarent, ein alter Feind des Kaiserhofs (die Normannen hatten 1081–1084 byzantinisches Griechenland angegriffen). 1097 schworen Bohemund, Gottfried von Bouillon (Herzog von Niederlothringen), Raimund IV. von Toulouse (Raimund von Saint-Gilles) und andere Fürsten dem Kaiser die Treue. Trotz Sprachbarrieren und der Vielzahl autonomer Kontingente kam es zu Erfolgen: Nikaia fiel im Juni 1097 (faktisch von den Seldschuken aufgegeben), und am 1. Juli 1097 siegte man bei Doryläon.
Im September 1097 teilte sich das Heer: Ein Teil marschierte nach Edessa, ein anderer nach Kilikien; der Hauptteil zog gegen Antiochia in Syrien – einen der fünf patriarchalen Sitze der Kirche, mit Traditionen um Paulus, Petrus und wohl auch Lukas. Nach einer achtmonatigen Belagerung, Seuchen, Hunger und Desertionen gelang am 3. Juni 1098 die Einnahme. Eine muslimische Entsatzarmee aus Mossul wurde geschlagen. Kaiser Alexios, auf dem Weg zur Unterstützung, kehrte um, nachdem Flüchtlinge ihm fälschlich eine bevorstehende Niederlage der Kreuzfahrer gemeldet hatten. Bohemund, verärgert, brach seinen Treueeid und behielt Antiochia – ein irreparabler Bruch im Verhältnis zu Byzanz.
Die Eroberung Jerusalems
Im Dezember 1098 rückte das Kreuzfahrerheer nach Süden vor, nahm mehrere syrische Hafenstädte und erreichte am 7. Juni 1099 Jerusalem. Von der einstigen Masse waren noch etwa 1.300 Ritter und rund 12.500 Fußknechte übrig.
Jerusalem war durch mächtige Mauern sowie Gräben und Steilhänge hervorragend geschützt. In dieser Lage trafen genuesische Schiffe mit Bauholz ein; daraus entstanden zwei Belagerungstürme, Katapulte und ein Rammbock. Die Verteidiger hielten stand und wagten kaum Ausfälle – man rechnete wohl mit ägyptischer Entsatzhilfe. Mitte Juli verlegte Gottfried von Bouillon die Angriffe auf einen vermeintlich schwächeren Abschnitt: In einer Nachtaktion wurden Gräben verfüllt und ein Turm an die Mauer gebracht. Am 15. Juli 1099 erklommen die Angreifer unter Gottfrieds Führung die Wehr und drangen in die Stadt ein.
Es folgte ein Massaker an Muslimen und Juden. Zeitgenössische Angaben schwanken stark; ein muslimischer Gewährsmann (Ibn al-ʿArabī) nennt etwa 3.000 Tote bei einer mutmaßlichen Stadtbevölkerung von rund 30.000 – wesentlich weniger als später kolportierte 10.000 oder gar 75.000. Ein ägyptisches Entsatzheer wurde bei Askalon geschlagen. Jerusalem war vorerst in christlicher Hand; Gottfried von Bouillon, der Held der Belagerung, wurde zum Herrscher („Beschützer des Heiligen Grabes“, später Königstitel). Papst Urban II. war am 29. Juli 1099 in Italien gestorben – ohne vom Erfolg zu erfahren. Für manche Historiker markiert Askalon das Ende des Ersten Kreuzzugs.
Weitere Erfolge
Viele Kreuzfahrer traten die Heimreise an – manche mit Reichtümern oder Reliquien, die meisten erschöpft und ohne großen Lohn. 1100 traf jedoch eine neue Welle unter Raimund von Toulouse in Konstantinopel ein. Am 17. Mai 1101 fiel Caesarea, am 26. Mai Akkon. Zugleich lernten die muslimischen Heere schnell die westliche Taktik und Bewaffnung: Im September 1101 wurde ein Heeresverband aus Lombarden, Franzosen und Deutschen von Seldschuken geschlagen. Die kommenden zwei Jahrhunderte sollten die Auseinandersetzungen für die westlichen Heere zusehends schwieriger werden.
Byzanz versuchte, Antiochia zurückzugewinnen oder zu isolieren. Bohemund reiste indessen nach Italien, gewann Papst Paschalis II. und den französischen König Philipp I. zeitweise für die Idee, der eigentliche Feind der Christenheit sei Byzanz. 1107 folgte ein Angriff auf Albanien, der scheiterte: Alexios mobilisierte seine besten Truppen, der Papst entzogen die Unterstützung. Bohemund musste die Oberhoheit des Kaisers anerkennen und Antiochia in dessen Namen regieren – ein Muster für spätere Gebietsteilungen.
Bilanz: Erfolge und Misserfolge
Militärisch war der Erste Kreuzzug insofern erfolgreich, als Jerusalem erobert wurde. Um die Heilige Stadt zu halten, entstanden in der Levante jedoch dauerhafte westliche Siedlungen – die Kreuzfahrerstaaten („Lateinischer Osten“, Outremer) – sowie Ritterorden zu deren Verteidigung. Klar war: Es brauchte stetig neue Kontingente und die Finanzierung durch Abgaben. Nach anfänglichen Massakern erkannten die neuen Herren, dass der Erhalt der Herrschaft die Duldung und Einbindung der äußerst diversen lokalen Bevölkerung erforderte – wenn auch unter Beschränkungen.
Trotz Rekrutierung und Kolonisationsversuchen ließen sich die Gewinne nicht dauerhaft sichern. Weitere Feldzüge wurden nötig, um etwa Edessa und schließlich auch Jerusalem nach seinem erneuten Fall 1187 zurückzuerobern. Insgesamt gab es acht „offizielle“ Kreuzzüge und mehrere inoffizielle Unternehmungen im 12. und 13. Jahrhundert – meist mit mehr Misserfolgen als Erfolgen.
Negative Folgen waren u. a. die Verschlechterung der Beziehungen zwischen Westen und Byzanz: Die Byzantiner waren entsetzt über undiszipliniert marodierende Gruppen auf ihrem Territorium; Gefechte zwischen Kreuzfahrern und byzantinischen Truppen kamen vor, Misstrauen und Animosität wuchsen – bis zum Katastrophenpunkt der Plünderung Konstantinopels 1204.
Zudem nutzten nicht-ritterliche Gruppen, oft städtische Arme, den religiösen Eifer zu Übergriffen auf Minderheiten, besonders Juden in Nordfrankreich und am Rhein. Der Kreuzzugsgedanke griff auch auf die Iberische Halbinsel über (Angriffe auf die Mauren im frühen 12. Jahrhundert) und erfasste bis ins 16. Jahrhundert weitere Regionen wie Preußen, den Ostseeraum, Nordafrika und Polen. Trotz zweifelhafter militärischer Bilanz blieb das Ideal attraktiv – für Herrscher, Krieger und breite Bevölkerung – und richtete sich schließlich nicht nur gegen Muslime, sondern auch gegen Heiden, „Schismatiker“ und „Häretiker“.